Unser Glücksvogerl

„Gell, so ein Kind verändert schon alles? Das ganze Leben, oder?“, diese Frage stellt mir meine Oma mittlerweile seit etwas mehr als zwei Monaten. Entweder weil sie sich aufgrund ihres Alters nicht mehr dran erinnern kann, dass sie’s mich bereits beim Besuch vor einer, zwei oder auch drei Wochen schon gefragt hat, oder weil die Ringe unter meinen Augen immer dunkler werden. Ich glaube an Letzteres, denn der kleine Mensch, der im Februar in unser Leben geplumpst ist, hat es mächtig auf den Kopf gestellt. Und ja, man weiß, dass danach alles anders ist, aber wie anders kann man sich halt doch nicht vorstellen.

Auf jeden Fall aber so anders, dass dieser Beitrag in der Erstfassung in der App für Notizen am Handy entstand, während das Menschlein auf meinem Schoß lag, tief geatmet hat und mich nicht aufstehen ließ. Denn er ist ein Tragebaby oder ich eine Tragemama, ich weiß es nicht genau, irgendwie kommt mir das wie die Henne und das Ei vor. Auch, wenn ich mich danach sehne, den Geschirrspüler mal wieder mit beiden Händen ausräumen zu können (ja, SO anders wird das Leben), trage ich ihn einfach auch zu gerne, um ihm das Alleinesein anzugewöhnen. Und irgendwie halt ich auch nicht viel von diesem „Alleinesein“, schließlich war er für so lange Zeit in meinem Bauch, in dem ich ihn schon so viel rumgetragen habe. Was macht da das eine oder andere Kilo mehr schon aus – also außer meinem Rücken, dem gefällt’s nicht so sehr, dass ich beim Schwangerschaftsyoga die Rückenübungen scheinbar nicht genau genug genommen habe. Aber bis auf diesen Umstand hab ich das Menschlein gern an mir hängen und so sicher meinen Beitrag dazu geleistet, dass er so ein Paradetragling geworden ist. Wozu ich damit aber hoffentlich auch meinen Beitrag leiste ist zu seinem Bindungsverhalten – ich mag die Vorstellung eines „sicher gebundenen“ Kindes*, das auf die Verfügbarkeit seiner Eltern zählen kann. Auch, wenn das manchmal nur in Form von gutem Zureden geschieht, weil man in der einen Hand eine Wäschekorb hält, mit der anderen die Katze füttert und auf dem rechten Zeh ein Tablett voll Gläser balanciert.

Wieviele Gläser auch noch zu Bruch gehen werden, oder wieviele Nerven noch zusammenbrechen, das Menschlein bringt so viel Glück in unser Leben. So viele Freudentränen, von denen man nicht wusste, dass es in den Tränendrüsen ein eigenes Depot dafür geben muss.

Und so viel Rührung und Liebe wie man es sich (ähnlich wie bei der erwähnten großen Veränderung) nicht vorstellen kann, dass man ihm die Geburt nicht lange nachtragen kann…

…und ihn zum größten Glücksvogerl überhaupt macht.

 

*Die Bindungssicherheit eines Kindes lässt sich in die folgenden vier Kategorien einteilen:

  1. sichere Bindung. Die Bezugsperson dient als „sichere Basis“, von der aus die Umgebung erkundet wird. Bei einer Trennung kann es gut sein, dass das Kind zu weinen beginnt, weil es die Bezugsperson gegenüber einer fremden bevorzugt. Kommt die Bezugsperson zurück, wünscht sich das Kind Nähe und Trost; daraufhin beruhigt es sich und spielt weiter.
  2. unsicher-vermeidende Bindung. Eine Reaktion auf die Trennung von der Bezugsperson scheint beinahe ganz oder vollkommen auszubleiben. Der Umgang mit einer fremden Person ist ähnlich wie mit der Bezugsperson; kehrt diese zurück wendet sich das Kind ihr nur zögerlich zu oder lehnt sie ab.
  3. unsicher-ambivalente (resistente) Bindung. Vor der Trennung besteht ein großer Wunsch nach Nähe zur Bezugsperson, wodurch die Umgebung häufig nicht oder kaum erkundet wird. Die Kinder reagieren anschließend mit intensivem Weinen und lassen sich bei der Rückkehr nur schwer beruhigen. Einerseits wünschen sie sich neuerlich den Körperkontakt, andererseits wehren sich sich aber auch dagegen (strampeln, abwenden, schlagen usw.).
  4. unsicher-desorganisierte/desorientierte Bindung. Eine große Unsicherheit wird deutlich, da sich die Kinder widersprüchlich verhalten. Sie zeigen beispielsweise einen „flach, depressiv anmutenden Emotionsausdruck“ beim Entgegengehen oder wenden sich ab, wenn sie in den Arm genommen werden. Teilweise findet ein Einfrieren bzw. Erstarren in der Bewegung statt.

Berk, L. E. (2005). Entwicklungspsychologie (3., aktualisierte Auflage). München: Pearson Studium.

One thought on “Unser Glücksvogerl

  1. Ja, jedes Kind ändert das Leben seiner Eltern in einem Ausmaß, den man vorher nicht erahnt oder auch nur annähernd versteht.
    Und diese Änderung bleibt bestehen bzw. das Leben der Eltern passt sich dann immer an das Leben des immer größer werdenden kleinen Menschen an.
    Genießt die Zeit, sie vergeht so schnell.
    Mir wurde dies damals (mehr als 30 Jahre her????) immer wieder von älteren Personen gesagt, ich habe es nicht geglaubt.

Schreibe einen Kommentar zu Rosemarie Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert